Was nützt die Arbeit in Gedanken?

Was nützt die Arbeit in Gedanken?
Ausstellung und Installation
Institut für wahre Kunst
2013

Luftpolsterfolie umspannt ineinander verkeilte geometrische Formen ohne Anfang und Ende.

Stur bahnt sich das stumme, verpackungsbraune Ungeheuer seinen Weg vom vorderen Eingangsbereich bis in den letzten und zugleich ersten Raum der Chemnitzer Galerie Hinten. Seine kompromisslose körperliche Anwesenheit sprengt Fenster und Türrahmen. So unerbittlich raumgreifend ist es, dass einem der übliche Galerieraum selbst dann verwehrt bleibt, wenn man sich durch die Hintertür anschleicht. Üble Zeiten für Speditionsanlieferungen? Rauminstallation im Bereich Stapelkunst? Oder Platzhalter und Projektionsfläche?

Neun Titelschilder geben zunächst Aufschluss darüber, dass der Verpackungsberg kein Kunstwerk sein will. Neun Titelschilder erzeugen wie aufeinander abgestimmte Vorspeisen Appetit auf den Hauptgang, die Namen der Werke lesen sich wie eine Kurzgeschichte, die Materialangaben befriedigen erste aufkommende technische Nachfragen. Doch schon diese leichte Lektüre birgt existentielle Zweifel. Wird hier überhaupt ein Hauptgang serviert? Oder ist alles ein Bluff – leere Verpackungen, leere Versprechungen?

Eine Frage steht im Raum: „Was nützt die Arbeit in Gedanken?“ oder anders gesagt: „Ist das Kunst oder ist es schon weg?“ – Mit diesen Worten eröffnet Matthias Zwarg die Vernissage und erntet die ersten Lacher und vehementen Widerspruch zugleich. Denn die neun Kunstwerke sind durchaus vorhanden, auch wenn sie nicht im klassischen Sinne materiell erfahrbar sind. Was man sehen will, findet man im eigenen Kopf, im Bauch und im Herzen vielleicht. Ein zartes Heft vereint die Gedanken, die unseren Werken zugrunde liegen, die finale Autorenschaft am Werk geben wir frei.

Das Institut für wahre Kunst untersucht, ob man den Schritt der Abbildung der Gedanken über die Kunst überspringen kann. Mit dem Ansatz, Kunst bleibe unvergänglich, solange man über sie schreibt, versuchen Eva Olivin, Lysann Németh und Saskia Göldner eine kollektive Leerstelle so zu präsentieren, dass sie dennoch sinnlich erfahrbar wird. Die Ausstellung fragt danach, welchen Nutzen und Wert eine ausformulierte Idee hat – im Umkehrschluss also, was die sichtbare Darbietung und ihre sinnliche Wahrnehmung eigentlich vermögen.

aus dem Konzept der Ausstellung

Die Arbeiten in Gedanken

  • Eva Olivin – Luftinspektor
    Installation im öffentlichen Raum
    pulverbeschichtetes Stahlrohr, verzinktes Lochblech
    235,5 cm x 123 cm x 400 cm
  • Lysann Németh – Einer trage des anderen Last.
    Rauminstallation
    10 Sockel mit integrierten digitalen Anzeigen, 10 Bücher
  • Saskia Göldner – Mammut
    Eingrabungen aus Ostdeutschland
    ca. 83,375 t und 45.756,2 m³
  • Eva Olivin – Easy Erasure 5259-D
    Prototyp und Produktvideo (4:16 min)
    Metall, Kunststoff, extrakorporale Elektroden
    27 cm x 7 cm x 7 cm
  • Lysann Németh – Das Wildschwein im Hund I
    work in progress
    Objekt
    70 x 50 x 3,8 cm
  • Saskia Göldner – Le cube du petit prince
    Imaginationsspielzeug
    6 x 6 cm
  • Eva Olivin – Nächtliche Schatten
    Rauminstallation
    Hängelampen, Stehlampen, Eintagsfliegen
    Maße variabel
  • Lysann Németh – Zieh, Monika!
    Diptychon
    lackierte Platten
    2 x 2,8 m x 2 m
  • Saskia Göldner – Nuzza
    Öl / Leinwand
    6 x 8,4 m

Ein paar gute Antworten auf die von uns aufgeworfenen Fragen findet der Autor Matthias Zwarg in seiner Eröffnungsrede. “Bei uns im Kunst-Business” müsse Handeln Platin sein, fordert er. Denken, Hoffnung und Utopie sind eben “nicht nur Luftschlösser, sondern können sich auf konkrete Inhalte richten: auf einen realen Humanismus, eine Gesellschaft, in der Menschen das ihnen zustehende Naturrecht – zu handeln, sich selbst als geltenden Wert fordernd einzubringen, nicht stehenzubleiben in der Position der Erniedrigten und Beleidigten – in Anspruch nehmen und einen aufrechten Gang wagen können”.

Ob man die Werke kaufen könne, werden wir gefragt. Dass wir von der bildenden Kunst in die schreibende Zunft emigriert wären, dichtet man uns an. Wann wir die Werke denn zu verwirklichen gedächten? Die Gespräche durchstreifen alle Sphären – theologisches, philosophisches, analytisches und politisches Dickicht säumt den Wegesrand. Niemand fragt, wie es sich anfühlt, ein Kunstwerk in Gedanken zur Welt zu bringen. Manchmal wiegt es 83,375 Tonnen. In jedem Fall ist es schwer, es schon von dort aus gehen zu lassen.

Detailaufnahme von Glassplittern auf einem Fensterblech, ein Quader aus Luftpolsterfolie durchbricht das Fenster.