Hirngespinste
Interaktive Installation
2011
ein leben auf flüsterasphalt
zwischen den orten
ein reißen in der magengegend
bei dem versuch
zum mittelstreifentechno
zu tanzen
irgendwo da draussen
bin ich
irgendwo da vorn
seid ihr
hirngespinste
sind treue gefährten
11. November 2010
Hirngespinste beschäftigt sich mit dem Gefühl der Rastlosigkeit, mit dem regelmäßigen Wechsel zwischen den Orten und einer Suche nach Fixpunkten des inneren und äußeren Pendelns. Sie entstand mit, auf und am Rande der Autobahn – vorwiegend auf der A4 zwischen Dresden und Weimar.
Im gebundenen Buch, dem essayistischen Teil meiner Diplomarbeit Hirngespinste, zeichne ich die ethnologischen Besonderheiten der Autobahn und der daran angrenzenden Gebiete nach, schärfe den Blick zur Seite und lenke ihn auf die Wiederentdeckung der Langsamkeit. Für meine künstlerische Arbeit suchte ich auch physisch nach Antworten und fand stattdessen laufend neue Fragen: Wo ist hier? Wie viele Finger hat die öffentliche Hand? Und was unterscheidet einen Leuchtturm von einem Irrlicht?
Dreiundvierzig begehbare Brücken überqueren den Verkehrsfluss der Autobahn A4 zwischen Dresden und Weimar. Dreiundvierzig Wege im Nichts, deren generelle Unpassierbarkeit durch den heftigen Winter-Einbruch noch deutlicher hervortritt. Für jede Brücke ein zurückgelassener Ballon, dezentes Zeichen der temporären Anwesenheit. Für andere Passanten im Niemandsland ein Gruß. Wer mit dem Auto hindurch fährt, erkennt mit der zurückgelegten Distanz die Verknüpfung zur Serie und den Bezug zur Landschaft. Für mich persönlich verwandeln sich jene verwundert durchwanderten Nicht-Orte in Orte.
Einen Teil meiner Zeit widme ich der Aufzucht und Pflege wildgewordener Baustellenmarkierungen. Als gestrüppartiges Mischwesen, im Feld zwischen hermetisch abgeriegelter Fahrbahn und der Landschaft hinter der Leitplanke, sind sie manchmal, wenn sie sich vorzeitig selbst abgeschält haben, in freier Wildbahn anzutreffen und lassen die harten Grenzen von Natur und Technik verschwimmen. Für die Installation Hirngespinste kommen meiner kleinen Sammlung die Autobahn-Meistereien in Siebenlehn und Dresden zur Hilfe: 2 Tonnen der gelben Riesenschlangen, die kurz zuvor noch auf meiner Route die Pedale vibrieren ließen, schütten sie mir vor die Tür und fahren kopfschüttelnd vom Hof. Während ich sie verarbeite, streiken alle Schutzhandschuhe, die meisten Klingen und Industriescheren und kurz vor der Präsentation auch meine Hände. In die Streifen sind Glassplitter eingearbeitet, damit sie deutlicher reflektieren. Ich bin hochzufrieden mit meinen schwer zähmbaren Kilometern und setze sie auf dem Boden als Leitlinien ein, die die aus dem Dunkel auftauchenden verschiedenen Videofragmente im Raum miteinander verbinden. Doch auch als Markierung der Umwege, die ihren Verlauf nicht zuletzt über Wände und Decken nehmen, bilden die stark nach Teer riechenden Streifen eine Art Irreleit-System.
[Nach etwa zweieinhalb Jahren] verschwamm die Fahrbahn zu einem endlos gleichen Asphaltband, über das mein innerer Autopilot zuverlässig navigierte, obwohl ich die Beschilderung längst nicht mehr wahrnahm. Die Tempolimits hatten sich mir genauso eingeprägt wie die Gefahrenstellen, die Kilometer flossen in der Trance der Gedanken einfach an mir vorbei. Stattdessen bildeten sich neue Fixpunkte für mich heraus: Ich freute mich auf den Anblick der abgestellten Straßenbaufahrzeuge, die sich nachts, nur selten vom Licht der Scheinwerfer erfasst, am Randstreifen von den Arbeitsstrapazen des Tages erholen. Ich fing an, mich unwillkürlich heimisch zu fühlen, wenn ich diese urbanen Gespenster passierte und die Bagger ihre Schaufeln wie zum Gruß erhoben hielten. Die Autobahnbaustellen, die ich zu Beginn meiner Pendelfahrten noch als lästige Störfaktoren wahrgenommen hatte, verwandelten sich in fantastische Orte des Wiedererkennens; jene freundlichen Versammlungen von Kränen, Baggern und Walzen halfen mir, die Orientierung und Konzentration zu bewahren, wenn alle um mich herum längst eingeschlafen waren.
aus dem Kapitel: To Be Gone | Von Fahrstilen, Gehversuchen und einer Gespensterjagd
Vier verborgene Monitore zeigen im Loop gleichzeitig ablaufende, sich immer wieder neu kombinierende Videofragmente. Längere Streckenmitschnitte von Autobahnfahrten in der Dämmerung und bei Nacht werden unterbrochen von kurzen Sequenzen seltsamer Szenerien. Wie Müdigkeitserscheinungen beim Fahren wechseln die Bilder zwischen Schärfe und Unschärfe, hält sich der Blick nur noch an Markierungsstreifen aufrecht, bis der nächste Fixpunkt auftaucht. Neben Raststätten und Tankstellen sind es doch vor allem ungewöhnliche Anblicke am Fahrbahnrand, die durch wiederholtes Vorbeifahren für Pendelnde zu Identifikationsorten werden. Ein stillstehendes Riesenrad in voller Festbeleuchtung strahlt ganz allein aus der Finsternis jenseits der Autobahn, nur das Lichtrauschen der vorbeirasenden Fahrzeuge unterscheidet meine Videoaufnahmen von Fotografien.
Neun auf den Wänden aufgebrachte Textkolonnen lenken den Blick nach oben. Die mehrheitlich auf der Autobahn entstandenen Texte sind Momentaufnahmen des Zweifelns und Zustandsbeschreibungen meines inneren Pendelns. Jeder Buchstabe ist im Schneidplot-Verfahren hergestellt, einzeln aufgebracht und besteht aus der gleichen Sicherheitsfolie wie der gelbe Teil eines Hauptstraßen-Schilds: Das Stirnlampen-Licht jeder Person, die sich durch den Raum bewegt, wird abhängig vom Einfallswinkel unterschiedlich grell reflektiert. Die Details der Installation verbergen oder offenbaren sich mit jedem Schritt durch das Dunkel.
vier stunden teufelstal
wie der name schon sagt
so eine art endstation
zumindest für mich und den
wirtschaftlichen totalausfall
mit dem ich in frostiger dämmerung
noch immer auf rettung warte
kein grund
gespenster zu sehen
hätte schlimmer kommen können
definitiv kein beinbruch
sondern ein motorschaden
wo regional erzeugte
senfgurken verkauft werden
sollte man den kopf
nicht auf den asphalt betten
es wird lichter
14. Oktober 2010